Patrick Nairz und Rudi Mair, Mogasi
Patrick Nairz und Rudi Mair © Thomas Ebert

Patrick Nairz arbeitet beim Lawinenwarndienst in Tirol. Er gibt uns hilfreiche Tipps im Umgang mit den gefährlichen Situationen, die der Schnee so mit sich bringen kann.

Mogasi: Wer steckt hinter dem Begriff Lawinenwarndienst Tirol? Wie viele Leute seid ihr, wie sieht die Organisation aus?

Patrick Nairz: Hinter dem Deckmantel Lawinenwarndienst steht eine kleine motivierte Truppe des Landes Tirol. Unsere Aufgabe ist eine sehr interessante und verantwortungsvolle. Für die Lawinenvorhersage sind derzeit zwei Lawinenprognostiker, für das Messnetz ein Techniker angestellt. Unterstützt werden wir von zwei halbtags beschäftigten Sekretärinnen sowie ständig wechselnden Praktikanten und Zivildienern.

Mogasi: Worin besteht die Hauptaufgabe des Lawinenwarndienst in Tirol?

Patrick Nairz: Unsere Arbeit ist darauf aufgebaut, Lawinenunfälle so gut es geht zu vermeiden. Damit uns das gelingt, müssen wir uns ein realitätsnahes Bild über die in Tirol herrschende Lawinengefahr verschaffen. Dies gelingt wiederum nur, wenn wir uns intensiv mit dem Aufbau und der Entwicklung der Schneedecke während des gesamten Winters beschäftigen. Die Information, die wir sammeln, muss im nächsten Schritt verständlich aufbereitet und in Folge an den Kunden gebracht werden.

Viel Zeit verschlingt auch unser Bestreben Arbeitsabläufe zu optimieren, Modelle zu testen, sich an Projekten zu beteiligen oder beispielsweise europaweite Entwicklungen mitzutragen. Zudem engagieren wir uns bei diversen Aus- und Fortbildungen. Kurz: Wir wollen immer besser und professioneller werden!

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Patrick Nairz und Rudi Mair bei der Arbeit © Thomas Ebert

Mogasi: Wie hoch ist das Arbeitspensum im Winter?

Patrick Nairz: Im Winter ist Hochsaison. Das wirkt sich auch auf unsere Arbeitszeit aus. Das Arbeitspensum ist meist hoch, hängt aber natürlich auch von der Situation ab. Wenn man den Lawinenlagebericht erstellt, sitzt man spätestens um 06:00 Uhr im Büro. Hängt man danach noch einen Außendienst an, was mehrmals die Woche der Fall ist, kommt einiges an Zeit zusammen. Diese können wir im Sommer abbauen.

Mogasi: Welche Faktoren sind zur Ermittlung der Lawinengefahr ausschlaggebend?

Patrick Nairz: Die Lawinengefahr kann nicht exakt gemessen werden, es gibt jedoch objektive Kriterien, mit Hilfe derer sich die Gefahr bestimmen lässt: Als Lawinenwarner muss man sich immer folgende Fragen stellen: Wie stabil ist die Schneedecke? Wie leicht lassen sich Lawinen auslösen? Wie verbreitet sind die Gefahrenstellen innerhalb einer Region? Mit welchen, wie vielen und wie großen Lawinen muss ich rechnen? Man erkennt daran, dass die Gefahr eine Wahrscheinlichkeit angibt. Je höher die Gefahr, desto wahrscheinlicher ist es, dass Lawinen ausgelöst werden könnten oder sich gar selbst auslösen.

Mogasi: Welche Umstände erschweren eure Arbeit beim Lawinenwarndienst?

Patrick Nairz: Wir beschäftigen uns mit einem sehr komplexen und zudem öffentlichkeitswirksamen Thema. Dies kann mitunter recht kontroversielle Diskussionen mit sich bringen, bei denen mitunter Emotionen und Unwissen vor Fakten rücken.

Die meisten Lawinenereignisse treten bei Triebschnee- bzw. Altschneeproblemen auf.

Mogasi: Welche Regeln sollte jeder Wintersportler im freien Skiraum befolgen?

Patrick Nairz: Wir plädieren für eine möglichst umfassende Tourenplanung und flexibles Verhalten. In Tirol sind wir in der glücklichen Lage, dass wir ein sehr vielschichtiges Gelände haben, das von einer sanften Hügellandschaft bis zu schroffen Berggebieten reicht. Da gibt es bei nahezu allen Verhältnissen Möglichkeiten, unterwegs zu sein. Das Grundprinzip muss lauten: Passe deine Tour den Verhältnissen an. Daran knüpfen u.a. auch die von den alpinen Vereinen eingeführten Strategien an, die in Kombination mit Standardmaßnahmen zu einer deutlichen Risikoreduktion führen. Wichtig erscheint uns immer auch eine gewisse Verzichtsbereitschaft.

Lawine, Mogasi
Lawine, Silleskogel ©LWD Tirol

Mogasi: Wo finde ich den Lawinenlagebericht und wie weiß ich ihn zu verstehen?

Patrick Nairz: Wir bedienen inzwischen praktisch alle verfügbaren Informationskanäle, um den Lawinenlagebericht zu verbreiten. Eine Übersicht findet man auf unserer Webseite auf lawine.tirol. Besonders beliebt sind u.a. unsere Apps oder aber WhatsApp.

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Lawine.tirol Lawinenlagebericht

Wir versuchen den Lawinenlagebericht so verständlich wie möglich zu verfassen. Europaweit folgen wir zudem einer einheitlichen Struktur: Wichtiges, leicht Erfassbares voran! Verständnisfördernd ist unser Blog, in dem die aktuellen Bedingungen bildhaft wiedergegeben werden. Und wer es ganz genau wissen möchte: Die europäischen Lawinenwarndienste haben ein Glossar, in dem Fachbegriffe leicht verständlich abgerufen werden können. Links zu dem Glossar finden sich in der Regel auf den Seiten der Lawinenwarndienste, fix aber auf der europäischen Seite unter www.lawinen.org.

Durchschnittlich sterben während eines Winters 12 Personen durch Lawinenunfälle.

Mogasi: Wie viele Lawinenunfälle passieren in Tirol jährlich?

Patrick Nairz: Wir beziehen uns auf die tödlichen Unfälle. Durchschnittlich sterben während eines Winters 12 Personen. Betrachtet man die relative Anzahl an Todesopfern (gemessen an der Anzahl an Wintersportlern), so erkennen wir einen Abwärtstrend.

Mogasi: Die Lawinengefahr wird in 5 Stufen unterteilt, die meisten Lawinenunfälle passieren bei Stufe 3. Warum ist das so?

Patrick Nairz: Das Gefahrenstufensystem ist nicht linear, sondern exponentiell. Auf Deutsch: Die Anzahl an Gefahrenstellen verdoppelt sich in etwa von Gefahrenstufe zu Gefahrenstufe. Bei Stufe 3 gibt es somit bereits genügend „gespannte Mausefallen“, wo Lawinen ausgelöst werden können. Zudem sind die Gefahrenstellen nicht immer offensichtlich (d.h. unter einer trügerisch weißen Schneeoberfläche finden sich Schwachschichten, die man von außen nicht erkennt). Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit einer Lawinenauslösung klarerweise erhöht. Bei Stufe 4, also bei großer Gefahr wird die Gefahr dann auch für den Laien offensichtlicher, die Wintersportler dadurch auch defensiver. Oft erschweren dann auch Schneefall und Wind das Vorwärtskommen im Gelände.

Mogasi: Welche Gefahr wird im freien Skiraum häufig unterschätzt? Bzw. was ist DIE klassische Falle in die die meisten Menschen die sich in den freien Skiraum begeben tappen?

Patrick Nairz: Wenn wir uns die Statistik seit Einführung der Lawinenprobleme bzw. Lawinengefahrenmuster anschauen, so fällt auf, dass die meisten Lawinenereignisse bei Triebschnee- bzw. Altschneeproblemen auftreten. Triebschneeprobleme sind in der Regel relativ leicht zu erkennen. Da müsste nicht so viel passieren. Beim Altschneeproblem handelt es sich hingegen zeitweise um eine sehr heimtückische Angelegenheit. Hier gilt der Grundsatz, möglichst defensiv unterwegs zu sein, bzw. nach Möglichkeit den bekannten Gefahrenbereichen auszuweichen.

Mogasi: Ab welcher Größe sind Lawinen/Schneebretter/Rutsche gefährlich/tödlich?

Patrick Nairz: „Bereits eine Wanne voll Schnee kann dir das Leben nehmen.“ Dieses alte Schweizer Sprichwort sagt eigentlich alles aus.

Mogasi: Passieren viele Unfälle auch auf geführten Touren mit Berg- oder Skiführern?

Patrick Nairz: Experten haben am ehesten ein Problem mit dem Altschneeproblem. Dies spiegelt sich in der Statistik wieder.

Mogasi Skitour
© Nicolai Dan Jorgensen

Mogasi: Freeriden und Skitouren sind derzeit sehr populär. Wie steht der Experte dazu?

Patrick Nairz: Da wir aus demselben Holz geschnitzt sind, sehen wir das natürlich positiv. Besser, man verbringt seine Freizeit im Freien, als vor dem Computer… Der gewaltige Trend zum Freeriden und zu Skitouren hat zusätzlich auch noch den positiven Effekt, dass gerade im Nahbereich von Skigebieten das Gelände den ganzen Winter über ständig „niedergebügelt“ wird. Dies wirkt sich in der Regel günstig auf den Schneedeckenaufbau aus – großflächige Schwachschichten werden dadurch häufig zerstört.

Mogasi: Sind Konsequenzen aufgrund der Popularität bereits spürbar?

Patrick Nairz: Wenn das Unfallgeschehen angesprochen wird, so lässt sich von unserer Seite noch kein klarer Trend ablesen. Das hat vermutlich auch mit der gerade erwähnten Frequentierung diverser Routen zu tun.

Mogasi: Wie können Freerider ihren geliebten Sport sicher ausüben?

Patrick Nairz: 100% Sicherheit gibt es in keinem Lebensbereich. Durch vernünftige Planung, also gute Information, situationsangepasstes Verhalten, richtige Ausrüstung und im Zweifel Verzicht kann man ein alter Freerider werden.


Patrick Nairz (37) aus Innsbruck ist Stellvertrender Leiter des Lawinenwarndienstes Tirol und hat zusammen mit Rudi Mair das Praxis-Handbuch „lawine.“ geschrieben.

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